Prolog - Zadak Mountainbreaker Kalukulane

„Daher werde ich die Geschehnisse auf Andrakkon rund um Zadak und diese kleine Gruppe von Abenteurer niederschreiben, während der Planet um mich herum verdörrt. Sollte nicht noch ein Wunder passieren. Aber vielleicht bekommen wir dieses Wunder schon recht bald. Vielleicht sind sie bald da. Vielleicht...“ Aus den Erzählungen des Chronisten Weyrion Drak'Varan

Der Stein des Anstoßes

- von Kindern, Clans und Ehre -

"Zadak Kalukulane!" Den meisten zerbricht die Zunge, wenn sie versuchen, seinen vollständigen Namen auszusprechen – mir jedenfalls tut es das. Kalukulane: Die Schriften seines Volkes sagen, dass der Name etwas Großartiges verheißt. Für Zadak bedeutete er nur eines: Schmerz, Verbannung und Verachtung.

Geboren als Sohn des großen Anführers des Kalukulane-Clans, war sein Schicksal früh festgeschrieben. Jedoch entwickelte sich der junge Hüne nicht so, wie sein Vater sich das erhofft hatte. Zadak blieb zeit seiner frühesten Kindheit ein schmächtiger, schlaksiger Junge, dessen einziger Vorteil seine Herkunft war. Für Thorgar, der für seinen jüngsten Sohn nur wenig Mitleid aufbringen konnte, blieb Zadak immer ein Sonderling. Erst so dürr, dass selbst der kleinste Windhauch ihn davonwehen mochte – und dann, so als hätten die Götter selbst seine Gebete erhört, verwandelte sich der dürre Junge in wenigen Wochen zum besten Krieger des Clans. Sein Vater hatte bis zu seinem Tod nicht begriffen, was der Junge getan hatte, um diese Kräfte zu erlangen, aber zum Schluss wäre er sicher stolz gewesen.

Aber dafür müssen wir in die Kindheit von Zadak zurückkehren, zu jenem Tag, an dem der junge Hüne gegenüber seinen Freunden seinen unbändigen Mut beweisen wollte, indem er sich etwas traute, was kein Kind des Clans vor ihm gewagt hatte.

Er betrat die heilige Höhle, die sich an der Spitze des Berges befand, den sein Clan bewohnte. Bewacht und mit tiefen Gängen, die weit in den Berg führten. Hinter ihm seine Freunde, jeder so angsterfüllt wie er selbst, schlichen sie fast lautlos den recht ausgetretenen Pfad entlang, vorbei an kleinen Kammern und kleineren Altären, Alkoven mit Kriegern vergangener Äonen, bis zum Herz des Berges, wie sie die Große Kammer nannten. Gespickt mit Steinen in allen Farben und Fasetten, lagen die Wände weit im Dunkeln. Nur wenige Fackeln und Ölbecken erleuchteten das andächtige Schauspiel aus Farben und Schatten.

Dort lagen sie, ein paar unscheinbare Steine, kleine Dinger – Kiesel mochte man meinen – von einer fast durchsichtigen, eigenartigen Existenz. Drei Stück, auch genannt die Donnersteine, da sie dem Anführer des Clans vorbehalten waren. Nur wenige im Clan wussten überhaupt, wie man die Steine einsetzen musste. Den Kindern wurde in vielen Geschichten erzählt, welche Heldentaten ihre Vorfahren mit ihnen vollbrachten – vom Vernichten einer Räuberbande mit einem einzigen Wort bis zum Besiegen einer ganzen Drachenhorde. Die Geschichten waren meist mehr Lug und Trug als wahr, so glaubten es die Kinder zumindest, für sie waren das einfach quarzartige Steine. Und so stellten sie ihren Mut auf die Probe: Wer traute es sich, die Steine anzufassen?

Letztendlich hatte niemand so recht den Mut gefunden, bis Zadaks bester Freund ihn anstachelte. Alag'garr war schon von klein auf für seinen Geburtsbruder mehr als einmal der Ursprung für so manches Unheil, das Zadak zugestoßen war. So war er auch diesmal der buchstäbliche Stein des Anstoßes, der Zadak letztendlich dazu brachte, das zu tun, was niemand außer seinem Vater erlaubt war zu tun. Er nahm einen der Steine an sich. Nichts passierte, die anderen schauten schon recht enttäuscht. "Seht nur normale Steine!" platzte es aus ihm heraus. Und wie aus allen Richtungen donnerte es: "Du traust dich bestimmt nicht, ihn zu essen!" Alag'garr lachte hämisch, als er dies sagte. Doch Zadak stand einfach nur da und wie zum Spotte schluckte er einen der kleinen Kiesel fast augenblicklich. Womit er – unwissend, wie er als Kind nun mal war – sein Schicksal ein für alle Mal besiegelt hatte.

Das Verschwinden des Steins blieb für eine Weile unbemerkt, war der Clan doch weithin als mächtigster unter den Hünenclans bekannt. Weswegen sich nie jemand der Macht des Clans entgegenstellte. Doch dies blieb nicht ewig so. Die Monate wurden zu Jahren, und aus dem Kind Zadak wurde der Krieger Zadak. Denn der Stein hatte seinen Körper nie verlassen. Nicht so, wie er damals gedacht hatte, was passieren würde: ein Schluck und nach wenigen Tagen hätte er ohne Spuren den Stein wieder an seinen angestammten Ort gelegt. Als dieser jedoch nie die Anstalt gemacht hatte, ihn auf die einzige ihm bekannte Möglichkeit seinen Körper ohne Schaden zu verlassen, bekam Zadak Panik. Er hatte etwas Unverzeihliches getan – er hatte, so glaubte er, dem Clan seine Macht geraubt, das geraubt, was ihn vor all den Gefahren beschützte.

Zeitgleich wuchs Zadak unnatürlich schnell. Schon wenige Jahre vor seiner Volljährigkeit überragte er die meisten anderen Hünen; nur sein Vater Thorgar war noch größer als er. Mit der Zeit veränderte sich nicht nur sein Körperbau. Irgendwann ließ es sich nicht mehr leugnen: Etwas stimmte nicht mit ihm. Ob er nun von den Göttern gezeichnet war oder etwas anderes die Ursache für seine Verwandlung trug – die leicht schimmernden Schlieren auf seinem Körper, erst nur undeutlich, bildeten alsbald Muster, die der Dorfälteste als Runen der Macht bezeichnete. Für die meisten Bewohner seines Dorfes blieb Zadak der Sonderling. Viele misstrauten dem, was er innerhalb weniger Jahre geworden war.

Mächtig, stark, schnell war er geworden. Seine Sinne waren schärfer als die aller anderen Krieger, sogar schärfer als die seines Vaters.

Der Verlust eines Donnersteines hatte irgendwann die Runde in anderen Clans gemacht. Viele sahen den Kalukulane-Clan als geschwächt, als nicht mehr würdig, der mächtigste Clan zu sein. Und so kam es unweigerlich erst zu kleineren Konflikten in Tings, beim Handel, bis es schließlich zu offenen Überfällen und ausbrechenden Fehden kam. Inmitten dieses Getümmels hatte sich ein Clan unter all den anderen als ebenbürtig herausgestellt.

Wie es bei den Hünen seit jeher Tradition war, kam es am Ende der Konflikte zum Duell der mächtigsten Clans. Beide Anführer kämpften, kämpften bis einer siegte und somit zum Anführer aller Clans wurde. So war es Brauch, so wurde es entschieden. Kein Weib, kein Einspruch eines Alten konnte an dieser unumstößlichen Tatsache etwas ändern. Um das Blut all derer zu rächen und um die zu besänftigen, die die Auslöschung aller Feinde forderten.

Die Banner wehten im eisigen Wind, der durch die Schlucht pfiff. Frostig und kalt war es hier, wo die Berghänge kahl, felsig und schroff waren. Ein weites Areal der Schlucht diente seit jeher als Arena, hatte sie doch nur zwei schmale Pfade als Ein- und Ausgang. Die Überhänge zu beiden Seiten formten eine klare Abgrenzung zwischen Arena und Zuschauertribünen. Auf der einen Seite die Banner des Kalukulane-Clans, auf der anderen die des Feuerfang-Clans, angeführt von Ghal Feuerfang.

Ghal hatte die Statur eines riesigen, unförmigen Felsens, in den man mit aller Macht der Erde einige tiefe Wunden geschlagen hatte. Sein linkes Auge war blind, seine prankenartigen Hände waren mit Stachelkrallen und Gewichten beschwert. Und wenn man genauer hinsah und sich die Mühe machte, konnte man am Gürtel die Reste einiger Elfenohren und anderer widerlicherer Trophäen ausmachen. Der Hüne hatte nichts Sympathisches an sich. Er spuckte auf den Boden, forderte Thorgar mit Verwünschungen und Beleidigungen heraus. Verspottete ihn und seinen Clan. Wie zufällig zerriss in dem Moment, wo er seinerseits dem Kontrahenten Verwünschungen an ihn und seine Väter richtete, Donner den Himmel. Thorgar nutzte die verbliebene Macht der beiden übrigen Steine. War es zwar imposant, doch lang nicht mehr so mächtig wie in seiner Jugend. Er spürte, dass das Fehlen des dritten Steines, wie er meinte, seinen Tribut von ihm fordern würde. Doch er konnte und er wollte nicht auf die Macht, die sie ihm gaben, verzichten.

Niemand von ihnen wusste genau, wie die Steine eigentlich funktionierten. Niemand in der Erbfolge hatte je wirklich begriffen, was die Steine wirklich konnten. Verstärkten sie bei einem die Kraft, schenkten sie einem anderen Scharfsicht und magische Fähigkeiten. Eine der Legenden des Clans sprach sogar davon, dass es einem ihrer Anführer gelang, Feuer aus dem Nichts zu erschaffen. Für einen einfachen Magier war dies freilich nichts Besonderes. Aber für Hünen waren magisch Begabte etwas Besonderes, sogar etwas Heiliges.

Und nun stand Thorgar in der Arena, in jeder Hand einen Stein. Blitze zuckten aus ihnen, verliehen ihm eine Aura aus Blau und Kälte. Während sein Kontrahent mit Faustwaffen und Speer bewaffnet vor ihm stand. Ghal stürmte los, wohl wissend, dass würde er ungünstig getroffen oder würde Thorgar seine Blindheit geschickt ausnutzen, der Kampf schnell vorbei sein würde. Doch der alte Hüne hatte in vielen Schlachten gelernt, seinen Nachteil zu seinem Vorteil zu nutzen. Was das Auge nicht mehr mit Farben und Formen sah, sah sein Verstand umso deutlicher. Was er hörte, was er roch, fühlte, die Bewegung seiner Haare – all das würde er nutzen, um seinen vermeintlich überlegenen Kontrahenten zu besiegen.

Thorgar setzte alles auf die Steine, auf ihre Macht und seine Kraft. Der erste Blitz verfehlte und schlug in die Wand hinter Ghal. Staub und Steine splitterten und verteilten sich in die Arena. Dann folgten weitere Blitze – erst zwei, dann drei, der vierte in Folge –, während Ghal seinen Angriffen nur auswich und auf einen günstigen Moment zu warten schien. "Was ist, ist der Anführer der Feuerfang zu feige, sich auf seinen Gegner zu stürzen?" Thorgar spuckte die Worte Ghal, der gerade einer weiteren Salve von kleineren Blitzattacken auswich, geradezu ins Gesicht. Er wollte ihn provozieren, ihn dazu verleiten, auf ihn zuzustürmen, seine Deckung zu verlassen und ihn somit in seine Nähe und in die effektive Reichweite der Blitze zu locken.

Thorgar frustrierte es: Im Nahkampf wären die Waffen von Ghal tödlich, auf die Ferne schreckte der furchteinflößende gezackte Speer, an dessen Schaftende der Kopf eines Tieres hing. Ghal verstand es, ihn zu führen. Stach er doch immer wieder nach den Seiten von Thorgars Oberkörper. So verging ein halber Tag – hier Finten, dort kleinere Angriffe. Keiner der beiden gewann an Grund, konnte dem anderen etwas anhaben. Die Schläge, Hiebe, die nicht versiegende Magie Thorgars – Ghal hatte schnell festgestellt, dass die Blitze mehr Show als Waffe waren. So hatte er einige einstecken müssen. Sie waren schmerzhaft, das gestand er sich ein, doch tödlich – tödlich waren sie nicht. Nicht das, was er all die Jahre gefürchtet hatte, diese tödliche Gewalt, von der er in Erzählungen erfahren hatte, nicht dieser alles vernichtende Blitz und Donner. Mehr wie Peitschenhiebe, und mit denen kannte er sich aus. Mit denen war er vertraut, diesen Schmerz kannte er, und er würde ihm Thorgar Zoll um Zoll zurückgeben. Er würde die Peitsche, die er im Gürtel hatte, nehmen und ihm langsam erst die Haut in Streifen schlagen und dann Muskeln von seinem geschundenen Körper entfernen.

Ghal hatte Pläne. Er hatte sich Zeit gelassen. Fast einen Tag nun kämpften die beiden ununterbrochen, unerbittlich. Ein normaler Mensch, ja sogar ein Elf wäre unter diesen Strapazen schon längst gestorben. Hünen jedoch konnten tagelang marschieren, kämpfen und aushalten. Ihre Zähigkeit war bis weit nach Tanfa bekannt. Nur die ausgestorbenen Orks und die Trolle Tanfas konnten mit ihnen mithalten.

Und nun ging der Kampf in seine heiße Phase. Thorgar verzichtete zunehmend auf die Magie der Steine, hatten sie doch nicht die erhoffte Wirkung. Nur am Rande nahm er wahr, wie sein Clan nun schon seit einem Tag am Rande der Arena kampierte, dem Spektakel folgte, allen voran sein jüngster Sohn Zadak. Er hatte sich gemacht. Er würde ein würdiger Anführer sein, könnte er sich gegen seine Brüder behaupten. Hätte er ihn herausgefordert, würde jetzt sicher Zadak hier stehen und nicht er. Der langsam die Macht über die Steine verlor. Er, der sich nicht erklären konnte, warum die Angriffe schwächer wurden, er, der doch so viel Kraft, wie er nur aufbringen konnte, in jeden Angriff gelegt hatte. Er, Thorgar, der Anführer der Kalukulane, er verlor. Mit jeder verstreichenden Minute verlor er mehr und mehr an Boden. Er, der hier einst stand und zusah, wie sein Großvater, der einst mit nur einer Faust und den drei Steinen in dieser mit einem feurigen Schlag vom großen Dalorgar nichts anderes als Asche übrig gelassen hatte. Ein Schlag – die Hitze war so gewaltig, dass man selbst heute noch an einigen Stellen den zu Obsidian geschmolzenen Fels sehen kann.

Und nun stand Thorgar hier und verlor – verlor gegen einen, der auf einem Auge blind war, der aus vielen Wunden blutete, der eigentlich tot sein müsste und es doch nicht war. Er schonte seine Kraft, ging sparsam mit den Steinen und seinen Fähigkeiten um, wich aus, schritt zurück, verlor an Boden. Thorgar verzweifelte nahezu. Sein Stolz hielt ihn aufrecht, seine Pflicht am Leben. Verlöre er, verlor sein Clan – Sklaven würden sie werden, die Frauen und Kinder verschleppt, die Männer eingesperrt oder aus Blutrache getötet. Und doch konnte er nicht mehr. Seine Füße wollten sich nicht mehr heben. Das Blut in seinen Händen sickerte in die Steine, die – so nahm er leicht benommen wahr – sich rot in seinen Händen färbten, rot von seinem Blut, von seiner Kraft. Sie leuchteten geradezu, rot wie Rubine, so erinnerte er sich.

Während er einem weiteren Hieb Ghals auswich und versuchte, seinerseits einen Angriff zu landen, waren die Blitze, die die Klinge umspielten, nicht mehr blau – sie wurden rot, rot wie sein Blut. Sie waren sein Blut, seine Kraft. Seine Kraft, die in die Steine floss. Mit jedem Angriff, den er ausführte, floss das Blut, sein Blut in die Steine. Erst nachdem er einen weiteren Tag mit dieser neuen Macht gegen den nicht müder werdenden Ghal gekämpft hatte, dämmerte es ihm im hintersten Teil seines Schädels: Er wurde schwächer, unmerklich, aber es war da. Die Beine blieben für wenige Sekundenbruchteile länger an Ort und Stelle, die Bewegungen der Arme wurden merklich schwieriger, sie zitterten und krampften, seine Muskeln verlangten nach Nahrung und Sauerstoff. Doch da war nicht mehr genug. Er hatte das Gefühl, seine Haut würde zu Papier. Je länger er weiter die Kraft der Steine gebrauchte, desto mehr fühlte er, wie ihm das buchstäbliche Leben entzogen wurde. Doch er konnte nicht auf sie verzichten, nicht eine Sekunde, denn nur mit ihnen konnte er diesen unförmigen Berg aus Muskeln, Sehnen und Knochen vor sich besiegen. Nur mit ihnen gelang ihm das Unmögliche, so war es schon immer gewesen. Er fluchte leise nach dem dritten Stein. Der Stein, der am mächtigsten war, der Stein, der verschwand, der – so sagten es die Weisen seines Clans – seinem Jüngsten wohl diese unbeschreibliche Macht verliehen hatte. Thorgar hatte dies akzeptiert als Erklärung dessen, was mit dem Stein passiert war. Sein Sohn sollte hier stehen an seiner Statt. Doch es war das Duell der Clanführer, und er würde es gewinnen. Er schoss mit einem weiteren tiefroten Blitz auf Ghal. Wieder versengte die Kraft der Steine dessen Haut an einigen Stellen und ließ auf ihr Blasen schlagen. Ghal zuckte, der Schmerz erreichte sein zentrales Nervensystem.

Thorgar spürte die Erschöpfung jetzt deutlich – der Hunger nach Fleisch, nach Fett, der Durst nach Wasser. Er wollte essen, sich laben und die Früchte, die sein Clan auf einer der Hochebenen anbaute, kosten, den leicht säuerlichen Saft trinken. Seine Gedanken faserten in alle Richtungen. Er taumelte unmerklich nach links, dann nach rechts, das Blut tropfte von seinen Händen. Ghal sah die Schwäche, sah, wie sein Gegner immer wieder den Fokus verlor, sich verlor. Er hatte von seinen Vorfahren Geschichten gehört – dass Kämpfe in dieser Arena nie unter einer Woche dauerten. Dass die Kontrahenten buchstäblich Tage damit zubrachten, sich gegenseitig Wunden zu schlagen, die weitaus tödlicher waren als die, die die beiden sich bisher zugefügt hatten. Ghal wusste, dass er nur noch durchhalten müsste. Er hatte schon gewonnen. Das las er deutlich in den Fußbewegungen Thorgars. Das leichte Schleifen der äußeren Sohlen auf dem staubigen, erdigen Boden. Ghal holte erneut aus und traf – er traf mit allem, was er an Kraft aufbringen konnte.

Die Menge, die die beiden Kämpfer bis hierhin ununterbrochen angefeuert hatte, verstummte. Es wurde still, nur der Wind und das schwere Atmen Ghals waren weit hin zu vernehmen. Ghal hatte Thorgar getroffen. Ghal hatte den ihm eigentlich übermächtig erscheinenden Gegner vor aller Augen das Hünenherz durchbohrt. Mit der bloßen Hand, mit einem Schlag. Thorgar stand noch, umfasste den muskulösen Arm, ungläubig der Tatsache, dass sein Herz nicht mehr in seiner Brust schlug. Dass es hinter ihm gerade mit einem schweren Schmatzer und blutsprudelnd zu Boden fiel.

Es heißt, dass die Brust eines Hünen so zäh wie der Panzer einer ausgewachsenen Drachenschildkröte sei. Hier schien diese Behauptung nun Lügen gestraft. Thorgar hatte den Angriff nicht einmal gesehen, er hatte ihn nicht gespürt, seine Sinne hatten ihn nicht gewarnt, nichts hatte er getan. Er stand nur da und dachte an frisches Wasser, die Lenden seiner Frau und das Geräusch, das kleine Kiesel machen, wenn sie zu Boden fallen. So wie er es gerade tat. So tot, so zerbrechlich wie Papier.

Ghal erhob die blutige Hand. Er war nun der Anführer, er war nun derjenige, der die Clans führen würde – er, der in seinem eigenen Clan so lange und so hart kämpfen musste. Er hatte es geschafft, er war Ghal Feuerfang, Anführer aller Hünenclans. Und er würde sie zu unbeschreiblichem Ruhm führen, in Hunderte, ja sogar Tausende Schlachten. Er sah die Faust nicht, er war zu siegestrunken, zu sehr abgelenkt. Sein letzter Gedanke galt denen, die er abgrundtief hasste – jetzt müssten sie ihm huldigen, ihm, dem abscheulichen Monster. Seine Worte verhallten so schnell, wie er begonnen hatte, seinem Jubel freien Lauf zu lassen. Der Körper Ghals schlug neben dem von Thorgar auf, niedergestreckt von einer Faust, die von roten und blauen Blitzen begleitet wurde. Einer Faust, die größer gewesen war als Ghals Kopf, die ihn an eben jenem gepackt hatte und ihm den selbigen von seinen Schultern getrennt hatte. Sein Kopf und ein Teil seines Rückgrades hingen nun da in der Faust von Zadak. Ghal starrte in die glühenden roten Augen, in das Feuer und die Blitze, die aus ihnen zu kommen schienen. Er hörte den Berserkerschrei. In seine sterbenden Gedanken mischte sich Panik – er war Ghal Feuerfang, er hatte das Duell der Clanführer gewonnen, er war der rechtmäßige Anführer aller Hünen auf Andrakkon, er war nicht mal eine Minute lang so mächtig gewesen wie niemand in seinem Clan vor ihm. Dann schlossen sich seine Augen, und der nun ganz tote Ghalskopf wurde vom Berserker durch die Arena geschleudert.

Die Geschichten von diesem Tag berichten, dass die Wut, die Zadak über den Verlust seines Vaters empfand, etwas in ihm verändert hätte. Die sonst leicht blau schimmernden kleinen filigranen Linien, die seinen ganzen Körper zierten, waren rot geworden. So erzählten es die, die seine Wut an jenem Tag überlebt hatten. Beide Clans hatten ihn angegriffen – Feuerfang wegen des Verrates Zadaks und Kalukulane, um sich zu schützen. Er erkannte weder Freund noch Feind. Man erzählt sich, dass seine blinde Berserkerwut Stunden anhielt. Am Ende war er der Einzige auf dem Arenaberg, der noch stand. Wer nicht geflohen war, war entweder tot oder lag im Sterben.

Man fand ihn zwei Tage später an einem Bach, weinend und völlig verstört. Es wurde Ting gehalten und über Zadaks Schicksal entschieden. Beide Clans hatten an jenem Tag viele Krieger verloren. Und so blieb ihnen nur Tod oder Verbannung. Letztendlich hatte man ihn nach einer gefühlten Ewigkeit in die Verbannung geschickt. Er durfte den Berg und das Gebirge seiner Vorfahren für einen Zeitraum, der seine gesamte Lebensspanne umfasste, nie wieder betreten.

Und so zog der junge Hüne, gezeichnet von seiner Tat, durch die Lande Paladrias auf der Suche nach Vergebung und einer Erklärung für seine Kräfte. Was an jenem Tag in der Arena verloren ging, war mehr als nur ein paar Dutzend Leben. Niemand war in der Lage gewesen, die beiden Steine, die Thorgar bei sich gehabt hatte, zu lokalisieren. Sie waren weg, weg wie schon der erste Stein. Selbst Zadak hatte es in seiner Berserkerwut nicht bemerkt. Und so ist dies ein weiteres Rätsel Andrakkons.